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Das Steuerparadies Wollerau SZ hat in den letzten zehn Jahren den grössten Rechtsrutsch vollzogen. Eine Audienz beim Gemeindepräsidenten

Das Steuerparadies Wollerau SZ hat in den letzten zehn Jahren den grössten Rechtsrutsch vollzogen. Eine Audienz beim Gemeindepräsidenten


von Reza Rafi


Er möchte jetzt aber nicht wieder so ein Wollerau-Bashing lesen, bittet Ueli Metzger. Der Gemeindepräsident hat uns in sein Büro in einem topmodernen Verwaltungsgebäude an der Hauptstrasse geladen. Oben amtet der Chef der örtlichen Exekutive, unten betreibt die Raiffeisenbank eine Filiale. Sein Dorf, nach rechts gerutscht? Metzger reagiert zunächst skeptisch. Die vielen Berichte über den Ort am oberen Zürichsee haben ihm offenkundig zugesetzt. Steuerparadies, Steueroase, Diamantküste. Über Roger Federer, der hierherzog, schrieben die Medien, über Formel-1-Pilot Kimi Räikkönen, über UBS-Bösewicht Marcel Ospel. Aber wahrscheinlich, Metzger denkt jetzt laut nach, «ist in den letzten Jahren auch ein Elektorat zugezogen, das ähnlich denkt wie viele Leute zum Beispiel in Herrliberg».


FDP-Mann Ueli Metzger trägt Anzug und Krawatte, seine Jahre in der Wirtschaft merkt man ihm an, er war IBM-Manager. Seiner Sprache allerdings - er tönt fast bodenständig, manchmal fast wie ein Wirt - hört man die Ochsentour an, die er absolviert hatte, ehe er vor drei Jahren an die Spitze der Gemeinde gewählt wurde: Rechnungsprüfungskommission, Gemeinderat, Gemeindepräsident. Jassturniere, Besuch beim Chor, Tennisclub, Feuerwehrfest.


Auch er hat eine Verschiebung der Wollerauer Bevölkerung festgestellt, wiegelt aber ab: «Direkt» merke er das nicht. «Ein guter Pulsnehmer ist meine Sprechstunde jeden ersten Montag im Monat.» Da gehe es etwa um Bau- oder Nachbarschaftsprobleme. «Was wir aber merken: Wir hören Klagen, dass junge Leute es sich nicht mehr leisten können, hier zu wohnen. Der Wohnraum ist zu teuer.» Bisweilen redet Metzger über Wollerau wie ein Gewerbler über sein KMU. Und dieser Umstand, dass der Mittelstand auszubleiben droht, der SBB-Angestellte im Wohnblock, die Lehrerfamilie im Reihenhaus, die Väter um den Pingpongtisch, dass dies verloren geht, scheint Metzger ernsthaft Sorgen zu bereiten. «Auf der anderen Seite», fügt er an, «gibt es natürlich auch ein verändertes Wohnbedürfnis: Der Mensch will immer mehr Wohnraum.» Im Kampf gegen die «Zugisierung», wie man das Phänomen heute nennt, plant Wollerau deshalb den Bau von Genossenschaftswohnungen: Man verfolge ein Projekt für preiswerten Wohnungsbau, so Metzger. Der Wollerauer Plan funktioniert so: Der Gemeinderat stellt günstig Land zur Verfügung. Durch private Initiative sollen auf diesem dann 50 bis 60 Wohnungen entstehen können.

 


Die Kinder sollen die Volksschule besuchen


Sein Dorf habe ziemlich konstant um die 7000 Einwohner. Und diese, besonders die Neuzuzüger, zu integrieren, erachtet Metzger als seine Aufgabe. Die nimmt er vor allem an zwei Schauplätzen wahr. Der eine sind die lokalen Vereine. «Unsere Vereine sind wichtig für das Dorf, auch um jene zu integrieren, die aus den umliegenden Kantonen und dem Ausland hierhergezogen sind.» Die andere Front ist die Schule. Die Klientel, die heuer nach Wollerau zieht, besteht zu einem guten Teil aus Topmanagern, Unternehmern und Expats, das sind jene hoch bezahlten, ausländischen Kader und Spezialkräfte, die von multinationalen Firmen hierherberufen werden. Diese Leute schicken ihren Nachwuchs gerne in die Privatschule im benachbarten Pfäffikon SZ. Für Metzger ist es aber «absolut zentral, dass die Kinder unsere Volksschule besuchen». Leider komme es immer mehr vor, stellt Metzger fest, dass nicht nur die Expats, sondern auch Schweizer ihre Kinder in die Privatschulen bringen. «Wir brauchen deswegen die beste Volksschule, damit die Kinder sich im Dorf integrieren und nicht auswärts Privatschulen besuchen und ihre Freizeit da verbringen. Da herrscht ein Wettbewerb.» Der Reiz der Privatschule besteht aus einem voll ausgebauten Tagesangebot, und das sei auch für zahlungskräftige Schweizer Eltern interessant. «Wir versuchen, hier mit einem Ganztagesangebot Gegensteuer zu geben.»


Er glaube nicht, dass seine Gemeinde ein grösseres Problem mit Expats und elitären Parallelgesellschaften habe, «aber das gibt es natürlich auch». Allerdings sei er auch schon selber ein Expat gewesen, damals in den USA, für IBM. «Interessant ist übrigens, dass es einen Verein gibt, bei dem sich einzelne Expats integrieren: der Tennisclub», stellt Metzger fest. «Auch in unserem neuen Freizeitpark Erlenmoos treffe ich öfter auf ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger.»


Metzgers Kernaussage ist letztlich diese: Ja, man hat die Probleme einer wachsenden Tiefsteuergemeinde, aber das betrifft alle Orte am Zürichsee, egal ob Kilchberg, Herrliberg oder Zollikon. Doch im Unterschied zu den Gemeinden an der Goldküste, wo sich die Geldpatrizier einst schöne Villen mit grossen Gärten errichteten und so das Ortsbild aufwerteten, machte Wollerau den direkten Sprung vom bitterarmen Innerschweizer Bauernkaff zum Milliardärsmekka. Die Folge: Die Hügel sind mit Terrassenbauten überzogen, die Autobahn und die Eisenbahn führen quer durchs Dorf. «Der Platz im Dorfkern ist keine Beauty, das ist mir bewusst», sagt Metzger. «Unsere Vorfahren haben sich entschieden, die Autobahn mitten durchs Dorf zu bauen. Auch der Autobahnanschluss ist heute mitten im Dorf.» Ein bisschen Wehmut schwingt mit, wenn Metzger das sagt. Aber die Nähe zur Metropole Zürich sei damals wichtig für die Entwicklung gewesen. «Dazu kam der Entscheid des damaligen CVP-Regierungsrats Franz Marty, im Kanton eine neue Steuerpolitik einzuführen; zusammen mit der tollen Seesicht eine attraktive Mischung.»

 


«Hier gehen Sie beim Dorfplatz kein Käfeli mehr trinken»


Was einst das Wachstum der Region beschleunigte, rächt sich heute. «Wir würden uns ein attraktives Dorfzentrum wünschen», sagt Metzger, «aber mit dem starken Verkehrsaufkommen kann man das vergessen. Hier gehen Sie beim Dorfplatz kein Käfeli mehr trinken bei dem Verkehr. Da leiden auch die Beizen darunter.» Man wolle darum den Autobahnanschluss um zwei Kilometer verlegen. Die Wollerauer sagten Ja, das Bundesamt für Strassen gab ebenfalls grünes Licht. Doch die Einwohner des Nachbarortes Freienbach stellen sich quer, der Tunnel für die Ausfahrt käme auf ihrem Gemeindegebiet zu liegen.


Ob Schule, Vereine oder Verkehr: Metzger kämpft an allen Fronten gegen die sozialen Nebenwirkungen der Schwyzer Standortpolitik, in gewisser Weise betreibt er Krisenmanagement gegen den eigenen Erfolg. Metzger ist deshalb auch entschieden für einen Stopp der weiteren Einzonungen, den schon sein Amtsvorgänger beschloss. Auch die «Hüslipest», die Zersiedelung des Landes mit dem Einfamilienhäuser-Einheitsbrei, gibt ihm zu denken. «Gibt es ein Menschenrecht auf ein Einfamilienhaus? Ich weiss es nicht», sagt er. «Wir müssen hier wohl umdenken. Wir haben heute eine Beschränkung bei Mehrfamilienhäusern auf maximal vier Stockwerke plus Attikageschoss. Das muss man vielleicht überdenken, wenn das Bevölkerungswachstum so weitergeht.» Die Ecopop-Initiative, die die Einwanderung begrenzen will, sei ihm aber «zu extrem».


Wie die Wollerauer da abstimmen würden, weiss er nicht. Er nennt dabei allerdings einen erstaunlichen Fakt: «51 Prozent der Wollerauer haben die Abzockerinitiative angenommen.» Auch das müsse man doch bedenken. Seiner Partei, der FDP, gehe es dennoch gut im Ort, nur die CVP macht ihm Sorgen. Sie ist nicht mehr im Gemeinderat vertreten. Früher war sie jahrelang die grösste Partei. Von der Erosion der christlichdemokratischen Partei in der katholischen Schweiz profitierte die SVP - Wollerau sei eben ein Ort wie viele andere.

 

Publiziert am 02.06.2013
http://www.sonntagszeitung.ch/fokus/artikel-detailseite/?newsid=253437